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Die junge Frau mit dem Kind im Buggy sprach mich an, als ich nach der Vernissage im Foyer des Rodenkirchener Rathauses die Beschriftungen der kleinen Bilder in der Vitrine nochmals ordnete. Es war ein kurzes Gespräch zwischen den Türen vom Bezirkssozialamt und der Kasse, doch nachher drehten sich meine Gedanken noch lange um den Sinn der Fotokunst.
Sie wollte von mir wissen: Wo ich meine Bilder aufgenommen habe? – Ob ich auch Unterricht gäbe? – In Eritrea gäbe es so viele landschaftliche Schönheiten, aber niemand interessiere sich dafür und mache Fotos.
Wir unterhielten uns ausschließlich über Kunst, und zwar auf Deutsch. Keine Zeit, nach ihrer Fluchtgeschichte zu fragen. Keine Zeit, nach ihrem Familienstand zu fragen. Ihr Kind – der rosa Wollmütze nach ein Mädchen – war etwa anderthalb Jahre alt und von mittelbrauner Hautfarbe wie sie selbst. Wenn ihre Tochter während oder kurz nach ihrer Flucht geboren wurde, hatte sie möglicherweise nur diese anderthalb Jahre Zeit gehabt, um Deutsch zu lernen. Vielleicht hatte sie niemand in ihrer Umgebung, der ihre eigene Sprache konnte und deshalb musste sie ganz schnell Deutsch lernen.
Momentan war ihr nur wichtig, über Fotografie zu reden. Und ich erzählte ihr von den Aufnahmesituationen und den Orten, die ich für die Fotos aufgesucht hatte. Dann wurde das Kind unruhig und die Frau beendete das Gespräch.
Wir hatten uns kurze Zeit in einer Welt der Kunst getroffen. Und je länger ich an dieses Gespräch zurück denke, weiß ich, was Fotokunst soll. Kunst löst den Blick von der momentanen Situation im Alltag. In dem Augenblick war die Frau keine Geflüchtete, keine Afrikanerin, keine Sozialhilfeempfängererin, sondern nur eine Kunstinteressierte. Kunst gibt den Menschen, die sich mit ihr beschäftigen, ihre Würde zurück.