Einen bunten Einladungsflyer für Blinde erstellen, das ist schon eine ungewöhnliche Aufgabe. Da muß man tatsächlich zu Blinden von der Farbe reden.
Sechs meiner blinden Freunde, Mitglieder des Vereins Blinde und Kunst e.V., bereiteten eine Dunkellesung und Performance vor und wollten – nicht nur, aber auch – die Sehenden zu dieser Veranstaltung einladen. Die Bundeskunsthalle in Bonn bot ihnen im Rahmen der Ausstellung Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft diese Möglichkeit.
Alle Wetter! hieß die Veranstaltung, und dazu sollte ich nun den Flyer entwerfen, unter Verwendung einiger meiner Fotos. Ich beschrieb einige geeignete Aufnahmen mit interessanten Wetterphänomenen, und ganz schnell einigten wir uns auf ein Regenbogenbild als Hintergrund für den Einladungstext. – Etwas länger dauerte es, Alle davon zu überzeugen, dass die in einer Offsetdruckerei auf Bilderdruckpapier hergestellten Flyer mehr Aufmerksamkeit erzeugen als die auf dem heimischen Drucker gedruckten Einladungen. Und nochmals mußte ich Überzeugungsarbeit leisten, damit der Flyer noch ein Gruppenportrait erhielt. Denn ich weiß, dass Fotos mit Menschen, die in die Kamera blicken, den Betrachter besonders ansprechen. Blinde können diese Erfahrung nicht haben, aber sie ließen sich dann doch zu einem Fototermin überreden. Übrigens konnten wir alle bei dieser Fotosession Einiges voneinander lernen.
Über meine Beobachtungen und die Kommunikation mit Blinden und Sehbehinderten möchte ich nun noch etwas schreiben. (Letztere sind auch Mitglieder im Verein Blinde und Kunst e.V., ich schließe sie mit dem Begriff “Blinde” mit ein, falls nicht ausdrücklich die vollkommen blinden Menschen gemeint sind.)
Blinde haben als Ausgleich für ihr fehlendes Sehvermögen viele Fähigkeiten entwickelt, die oft die von Sehenden übersteigen. Die anderen Sinne sind meist hoch entwickelt. Mit Hilfe ihres feinen Gehörs, ihres Tast- und Gleichgewichtssinns können sich Blinde in der Umwelt relativ gut zurecht finden. Auch ihr Gedächtnis ist hervorragend. Des Öfteren hörte ich von ihnen schon mal den Satz: “Wir sind zwar blind, aber nicht blöd” – das stimmt und mußte mal gesagt werden. Einige Blinde können sogar ein abgeschlossenes Studium (bis zur Promotion!) vorweisen.
Mit Farben können die Geburtsblinden nicht immer etwas anfangen. Sie haben ihr Wissen über die Farbbezeichnungen erlernt, aber nicht erfahren. Natürlich wissen Alle, was ein Regenbogen ist, und deshalb war man sich so schnell über das Motiv des Flyers einig. Doch wenn es um Kleidungsstücke geht, dann sind Farben Nebensache. Wenn die Kleidung wärmt und nicht kratzt, ist es in Ordnung. Welche Farben harmonisch wirken, gerade wenn es um ein Gruppenfoto geht – – – ja, da mußte die Fotografin schon mal Hilfestellung geben.
Interessant zu beobachten war auch die Kommunikation untereinander. Man hat ja oft gehört, dass die nonverbale Kommunikation sehr wichtig ist – was machen da die Blinden, die nicht eben mal abwinken können, wenn ihnen das Gesagte bereits bekannt ist? Sie lassen einander ausreden. Wenn etwas auf demokratische Weise diskutiert wird, darf Jede(r) die Meinung kundtun, und dann dauert es eben eine Weile. Mir fällt dazu der Vergleich mit den Tonbändern und Audiokassetten ein. Auch hier werden Klänge und Sprachinformationen nacheinander abgespeichert. Der gleichzeitige Zugriff auf mehrere Stellen des Bandes ist nicht möglich. Die Daten werden also seriell verarbeitet. Wenn Sehende miteinander reden, kommunizieren sie auf mehreren Kanälen gleichzeitig, also parallel, und das geht schneller vonstatten. Da braucht man im Umgang mit Blinden und schon Geduld und Rücksichtnahme. Es ist also nicht fehlende Intelligenz, sondern die serielle Informationsverarbeitung, die den Gesprächspartnern mehr Zeit abverlangt.
Wenn man blinden Menschen unterwegs in der Stadt begegnet, auf öffentlichen Plätzen oder in Verkehrsmitteln, weiß man nicht so recht, ob man helfen soll oder nicht. In der Regel kennen sie sich in der vertrauten Umgebung gut aus, und wer sie ungefragt führt, nimmt ihnen persönliche Freiheiten. Wie jeder andere erwachsene Mensch wollen sie nicht bevormundet werden.
Es erstaunt mich auch immer wieder, dass ihre Ohren wie das Radar einer Fledermaus funktionieren. Eine Mauer oder Hecke müssen sie nicht berühren. Bei geparkten Autos können sie die Größe recht gut abschätzen. Nur die filigranen Fahrräder sind, wenn sie in den Gehweg hinein gestellt werden, heimtückische Stolperfallen, denn diese können nicht geortet werden, und da habe ich schon manchmal einen sonst ruhigen Menschen fluchen gehört. Auch in langen Hundeleinen kann sich so Mancher verheddern.
Es ist menschenwürdig, wenn den Blinden die selbständige Fortbewegung ermöglicht wird, indem taktile Bodenmarkierungen an Wegen und Bahnsteigen angebracht werden, die sie mit ihrem Stock ertasten können – und wenn Sie mal den Rollkoffer beim Hinterherziehen etwas fester packen müssen, damit er nicht an der Markierung hängenbleibt, ist das doch nicht so schlimm. Ich sprach einmal mit einem Blinden, der mit der Bahn öfter mal allein fährt. Hilfe der Bahnhofsmission nimmt er dabei nicht in Anspruch. Er sagt dazu:”Ich bin doch nicht krank oder hilflos, sondern nur blind”. Dennoch, allein einen Weg zu bewältigen, den man nicht kennt, dazu gehört Mut, wie ein Blinder es aus seiner Sicht beschreibt. Am besten, sie fragen mal, wenn Sie einen blinden Menschen sehen, der sich erst voran tastet und dann orientierungslos stehen bleibt, ob Sie helfen können. Manchmal genügt eine kurze, präzise Beschreibung der Umgebung und Nennung der Straßennamen, damit er sich wieder allein zurecht findet. Und was Sie noch tun können: Weder Autos noch Fahrräder verkehrsbehindernd auf dem Gehweg stehen lassen – nicht nur Blinde, auch Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kinderwagen (auch Zwillingswagen!) wären froh darüber.
Und es gibt noch einen Bereich, wo Blinde oft unterwegs sind, ohne dass wir es merken: das Internet. Viele Blinde besitzen einen speziell eingerichteten Computer mit Sprachausgabe. So kann der blinde Mensch sich viele Artikel vorlesen lassen, meist in doppelter Sprachgeschwindigkeit – auch eine bewundernswerte Fähigkeit. Dazu müssten die Veröffentlichungen allerdings barrierefrei gestaltet werden. Sie sollten nicht unnötige Abkürzungen und kryptische Zeichen enthalten. Auch wenn Blinde die Bilder nicht sehen können, sie lesen die Kommentartexte. Deshalb sollten Sie bei jedem Bild auf eine Bildunterschrift achten und beim Hochladen und Einrichten in eine Webseite eine Bildbeschreibung und einen Alternativtext hinzufügen – ja, eine Minute Mehraufwand bei der Veröffentlichung hilft vielen Menschen weiter. Sollten Sie nun als blinder Mensch auf diese Seite gefunden haben und bei meinen Bildern eine fehlende Beschreibung entdeckt haben. lassen Sie es mich bitte wissen. So nach und nach werde ich die nötigen Ergänzungen einfügen, versprochen!
Hier noch die Rückseite des Flyers: